Vorsicht, Post aus Sachsen! Die Sonntagskolumne von Jörg Urban
Liebe Freunde, liebe Leser,
es gehört zu den Grundregeln der Diplomatie, anderen Staaten keine Schulnoten für ihre inneren Angelegenheiten zu erteilen. Umso mehr überrascht die Vehemenz der Europäischen Union im Fall Nawalny.
Brüssel rühmt sich, diese Woche „das erste Mal“ ein Land wegen Menschenrechtsverletzungen mit verschärften Sanktionen bestraft zu haben. Ganz vorn dabei: Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD).
Er schwadronierte, es sei nötig gewesen, „ein Statement“ abzugeben. Was er dabei nicht begreift: Gerade zur Beilegung aufgeheizter, internationaler Konflikte ist Schweigen meistens Gold wert. Zudem vergisst Maas, dass ein Außenminister eben keine unbedeutenden „Statements“ abgeben kann, sondern seine Worte weitreichende politische und wirtschaftliche Folgen haben.
Viele deutsche Unternehmen sahen sich aufgrund des vergifteten Verhältnisses zu Russland bereits gezwungen, ihre Mitarbeit an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu beenden. Bei Nord Stream 2 geht es für Deutschland um mehrere Milliarden Euro und unsere Energiesicherheit.
Und das wollen wir jetzt alles wegen Nawalny aufs Spiel setzen? Was mich an dieser Debatte vor allem ärgert, ist, wie bedenkenlos unsere Regierung, unsere Medien und auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer den „Kreml-Kritiker“ zum Helden stilisieren.
Dafür taugt er schlicht und ergreifend nicht. Bei Alexej Nawalny handelt es sich um einen zwielichtigen Politiker, der sein Engagement kurioserweise auf rechtsextremen Demonstrationen begann, Kaukasier als „Kakerlaken“ beschimpfte und weit davon entfernt ist, jemals seriöse Oppositionsarbeit geleistet zu haben.
Amnesty International hat deshalb gerade seine Einstufung als „gewaltloser politischer Gefangener“ revidiert. Die Menschenrechtsorganisation wirft ihm insbesondere vor, seine Hassreden niemals widerrufen zu haben. Das ist bemerkenswert, denn das von der EU vorgebrachte Argument des Schutzes der Menschenrechte fällt so im konkreten Fall Nawalny in sich zusammen.
Darüber hinaus wurde er wegen Wirtschaftsdelikten und Verstößen gegen Bewährungsauflagen verurteilt. Ob die Justiz mit ihren Urteilen immer richtig lag, können wir aus der Ferne schlecht einschätzen. Daher wäre für die deutsche Politik Zurückhaltung angebracht. Gegenüber Wladimir Putin und Russland spielt sich der Westen jedoch bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Chefankläger auf, der mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger agiert.
Die Europäische Union misst dabei mit zweierlei Maß. Im Fall Nawalny beschließt sie Sanktionen, während in den Fällen Edward Snowden und Julian Assange niemand den Vereinigten Staaten von Amerika auf die Füße treten will.
Julian Assange, der interne Dokumente über Kriegsverbrechen der USA enthüllte, droht bei einer Auslieferung lebenslange Haft oder eventuell sogar die Todesstrafe. Das hat sich auch durch den Wechsel an der US-Spitze von Trump zu Biden nicht geändert. Der neue Präsident Joe Biden sieht in Assange ebenfalls einen „High-Tech-Terroristen“.
Diese Wortwahl lässt erahnen, was Assange blüht, sollte ihn die britische Justiz eines Tages an die USA überstellen. Amnesty International fürchtet „Haftbedingungen, die Folter und anderer Misshandlung gleichkommen“.
Es ist Aufgabe der Gerichte zu entscheiden, welche Methoden zur Aufklärung von Kriegsverbrechen erlaubt sind und wo Spionage beginnt. Da möchte ich mich nicht einmischen. Wenn die US-Regierung allerdings Druck auf die Justiz und andere Staaten ausübt, um hier einen symbolischen Sieg zu erringen, wird die demokratische Errungenschaft der Gewaltenteilung ramponiert. Das geht nicht und muss klar benannt werden.
Ich betone das, weil Europa ein gutes, aber nicht kritikloses Verhältnis zu allen Großmächten braucht. Wir sind auf wirtschaftliche Kooperation und ein friedliches Miteinander angewiesen.
Aus diesem Grund nehme ich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erst dann seine angeblich russlandfreundliche Haltung ab, wenn er eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Russland-Sanktionen startet.
Die AfD hat ihn dazu schon mehrfach aufgefordert. Bisher lehnte die CDU diese Initiativen immer ab. Bleibt das so, befördern Kretschmer und die CDU die Eskalation und schaden den vielen sächsischen Unternehmen, die sich intensive Kontakte nach Russland wünschen.
Bis nächsten Sonntag,
Ihr Jörg Urban